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Rezension: Berühre mich nicht – Andrea Camilleri – Nagel&Kimche

Rätselhaft, vielschichtig und außergewöhnlich

Berühre mich nicht – Andrea Camilleri (Autor) Annette Kopetzki (Übersetzerin), 160 Seiten, 18 €, Verlag Nagel & Kimche AG (24. Juli 2017), ISBN-13: 978-3312010349

Der Titel stammt von der Interpretation einer Szene, die die Kunst des Mittelalters und der Renaissance, vor allem durch das berühmte Fresko von Beato Angelico im Kloster von San Marco in Florenz beeinflusst und angeregt hatte.

Der Roman spielt sich in einem bürgerlichen Rahmen ab. Die Handlung dreht sich um Laura Garaudo, ein rätselhafter und vielschichtiger weiblicher Charakter. Eine Frau, die extrem frei von sozialen Konventionen ist, aber innerlich leidet unter ihrem Leben. Er folgt Lauras Leben, das anscheinend dem Untergang gewidmet ist, verbraucht und verfallen.

Der Roman erzählt in Form eines Tagebuches vom 5. Juni 2010 bis zum 5. Juli 2010, mit einigen Rückblenden und einigen Seiten ohne Datum das geheimnisvolle Verschwinden von Laura

Laura ist eine jener schönen weiblichen Figuren; schön, aber von vulgärer Schönheit, animalisch und primitiv und auch faszinierend, raffiniert, sehr charmant. Jung und gebildete, ist sie mit einem renommierten älteren Schriftsteller Mattia Todini verheiratet, der sie mit völliger Hingabe liebt, obwohl Laura weiterhin Beziehungen zu anderen Männern beibehält. Eines Tages verschwindet Laura plötzlich und hier nimmt die Geschichte die Form eines Kriminalromans an und Kommissar Luca Maurizi verfolgt Momente von Lauras Leben zurück. Die Untersuchung ihres Verschwindens wird so zu einer wirklichen Erforschung der Persönlichkeit Lauras, ihres Geschmacks, ihrer Träume, ihrer geheimsten Schmerzen.

Camilleri schreibt präzise, auf das Wesentliche konzentriert. Vor allem in den von ihm bevorzugten Dialogen. Hier schafft er zwischenmenschliche Beziehungen, die den wahren Charakter der Personen bloßlegen.

„Berühre mich nicht“ ist ein ungewöhnlicher Roman, in dem Camilleri das Porträt einer Frau zeichnet, das zunächst rein fiktiv scheint, aber sich nicht viel aus dem wirklichen Leben unterscheidet.

Ein schöner Roman, elegant, unaufdringlich und ungewöhnlich in Stil. Für mich war das Buch zu schnell vorbei. Laura beschäftigt mich weiter als unklares Wesen, von dem ich gerne mehr wissen wollte. Aber wer weiß, vielleicht ist das genau das, was Camilleri erreichen wollte.

Mit dieser Mischung aus Psyche, Kunst, Spurensuche und Literatur hat Camilleri eines seiner besten Werke geschrieben.

Für jeden, vor allem natürlich für Camilleri-Liebhaber ein außergewöhnlicher Leckerbissen.

 

Hier geht es direkt zum Buch auf der Seite des Nagel & Kimche Verlages

https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/beruehre-mich-nicht/978-3-312-01034-9/

Fragen Sie in Ihrer örtlichen Buchhandlung nach diesem Buch. Wenn Sie in meiner Gegend „Landkreis Merzig-Wadern“ leben, dann wenden Sie sich an die Rote Zora: http://www.rotezora.de

Rezension: Das perfekte Leben des William Sidis – Morten Brask – Nagel & Kimche Verlag

Klug, einsam und doch perfekt!?

Das perfekte Leben des William Sidis – Morten Brask (Autor), Peter Urban-Halle (Übersetzer), 368 Seiten, Verlag Nagel & Kimche AG (30. Januar 2017), 24,00 €, ISBN-13: 978-3312010134

Vor diesem Buch sagte mir der Name William Sidis gar nichts. Meine Neugier wandelte sich beim Lesen sehr schnell in Verblüffung:

Da ist jemand außergewöhnlich intelligent und klug. Verpflichtet ihn das auch, seine Fähigkeiten in den Dienst der Gesellschaft zu stellen? Wie kann so ein Talent, das wie kein anderes für den Fortschritt des menschlichen Wissens beigetragen haben sollte, ohne eine Spur in der Geschichte verschwinden? Diese Frage stellt sich mir beim Lesen dieser Biographie.

Wer war William Sidis? Er lebte von 1898 bis 1944 in den Vereinigten Staaten und hatte den höchsten Intelligenzquotienten, geschätzt bei etwa 250 bis 300. Er konnte lesen bevor er zwei Jahre alt war, mit drei Jahren sprach er Griechisch und Latein. Mit acht Jahren absolvierte er in nur zwölf Wochen die High-School. Bis dahin hatte er bereits vier Bücher geschrieben. Mit 11 Jahren begann er sein Studium an der Harvard-University und hielt dort schon in diesem Alter Vorträge über nichteuklidische Geometrie und die vierte Dimension. Also ein Wunderkind. Dem Höhenflug folgte ein jäher Sturz. Sidis konnte sich gerade noch graduieren, musste bald schlecht bezahlte Jobs annehmen und gar eine Gefängnisstrafe absitzen und starb, nur 46 Jahre alt, als mittelloser Misanthrop. Und trotzdem war er am glücklichsten allein und wollte nur in Ruhe gelassen werden.

Sein Vater lehrte Psychologie an der Harvard-University und seine Mutter war Ärztin. Beide regten ihn vom Babyalter an, sein Gehirn zu benutzen und sahen keinen Sinn darin ihn spielen zu lassen, vor allem nicht mit anderen Kindern. So entwickelte sich William Sidis zu einem ganz anderen und sehr einsamen Kind, das sich mit dem sozialen Leben schwer tat. Er hatte natürlich auch Bekannte und einen Freund namens Nathaniel Sharfman. Er lebte und starb einsam. Und es gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass ihn diese Einsamkeit unglücklich machte. „Ich möchte ein perfektes Leben führen. Das perfekte Leben lässt sich nur in Abgeschiedenheit führen. Menschenmengen habe ich immer gehasst.“

Morten Brask schreibt einen dokumentarischen und doch nachdenklichen, hochliterarischen Roman über den wahrscheinlich klügsten und einsamsten Mann der Welt. Es ist nicht einfach nur eine Biographie, sondern eine Interpretation von William und seinem Schicksal. Er geht den Fragen nach: Warum ist ein so begabter Mensch heute unbekannt? Was war sein Leben? Was ist passiert? Was ist schief gelaufen? Was bringt einen Menschen dazu zu sagen, „Der einzige Weg, das perfekte Leben zu leben, ist es in der Einsamkeit zu leben.“ William Sidis lebte fast gleichzeitig mit Albert Einstein. Aber wo Einstein ein weltbekannter Physiker wurde, beendete William sein Leben in der Anonymität. Wie kam es dazu? War seine Intelligenz angeboren oder anerzogen?

Der Autor lässt die Geschichte in drei Erzähllinien entstehen: Seine Kindheit und Jugend, seine Beteiligung an der sozialistischen Bewegung und nicht zuletzt (keusche) Liebesaffäre mit Martha und sein letztes Jahre 1944. Seine Sprache ist einfach, nicht im Sinne von oberflächlich oder primitiv, sondern im Sinne von nüchtern, von einer durchaus lobenswerten Trockenheit. Es gelingt ihm, in diesem spannenden Roman hinter den tausend Gesichtern eines Genies, das wahre Gesicht des Menschen William Sidis zu entdecken. Es ist das starke Porträt eines in vielerlei Hinsicht vernachlässigten Kindes.

Die Quintessenz aus diesem Buch lautet für mich: Es gibt viele Möglichkeiten, das Leben zu leben. Niemand sagt, dass die traditionelle Familie, Kinder und Karriere auf jeden Fall die einzige Möglichkeit ist, ein perfektes Leben zu leben. Und es bleibt die Frage: Ist ein perfektes Leben auch ein glückliches Leben? Oder wie Sidis selber sagte: „Es gibt wohl kein Leben, das richtiger ist als ein anderes.“ (Seite 315)

Eine lesenswerte authentische Geschichte, die sich um Fragen dreht, die auch und besonders heute ihre Berechtigung haben und nach Antwort rufen, z.B. für die groteske Tendenz, dass Eltern völlig unkritisch ihre mehr oder weniger talentierten Sprösslinge als hochbegabt bezeichnen und alles tun, damit andere das auch so sehen. Das Buch liefert dazu einige Antworten und lässt viel Raum zum eigenen Nachdenken.

Hier geht es direkt zum Buch auf der Seite des Nagel & Kimche Verlags Verlages

https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/das-perfekte-leben-des-william-sidis/978-3-312-01013-4/

Fragen Sie in Ihrer örtlichen Buchhandlung nach diesem Buch. Wenn Sie in meiner Gegend „Landkreis Merzig-Wadern“ leben, dann wenden Sie sich an die Rote Zora: http://www.rotezora.de

 

 

 

 

Rezension: Die letzten Tage des Comandante – Alberto Barrera Tyszka – Nagel & Kimche

Alles ist Fiktion, auch die Realität

Die letzten Tage des Comandante – Alberto Barrera Tyszka (Autor), Matthias Strobel (Übersetzer), 256 Seiten, Verlag Nagel & Kimche AG (22. August 2016), 22 €, ISBN-13: 978-3312009947

Diesen Roman können Sie aus drei Blickrichtungen lesen: literarisch, soziologisch und politisch.

Worum geht es? In erster Linie um Venezuela, genauer gesagt um das Venezuela zur Zeit des „Chavismus“, als die Herrschaft von Hugo Chávez sich dem Ende nähert. Einer Zeit des Übergangs, der sich auch in den Personen und ihren Geschichten zeigt.

Da ist zum einen Miguel Sanabrina und seine Frau Beatrix. „Das, was er sich immer vom Leib gehalten hatte, holte ihn nun ein: dieses Land.“ (Seite 11) Miguel Sanabrina bekommt einen Anruf von seinem Neffen Vladimir, einem Offizier der Chavez-Regierung. Hugo Chávez, hält sich zur Behandlung seiner Krebskrankheit in Havanna auf.

Da ist Fredy Lucana, ein Journalist, der mit seiner Lebensgefährtin und seinem Sohn Rodrigo in der Wohnung über Sanabrina wohnt. Er hat seine Stellung verloren und will ein Buch über Hugo Chávez schreiben. Kann ihm die Kubanerin Aylin mit Informationen aus einem Kontakt in Havanna dabei nützlich sein?

Diese Wohnung gehört Andreina Mijares, die auf der Suche nach dem amerikanischen Traum nach Miami auswandert, und jetzt, nachdem das amerikanische Wunder sich zu einem amerikanischen Albtraum gewandelt hatte, nach Caracas in ihre Wohnung zurückkehren will

Und da gibt es noch Maria, ein zehnjähriges Mädchen, das mit ihrer Mutter alleine lebt. „Pass auf. Sei auf der Hut. Vertrau niemandem.“ (Seite 34) Cecilia, die Patin von Maria, sorgt für eine Internetverbindung, um das Kind nicht von der Außenwelt zu isolieren. Und so begann Maria, freundschaftliche Beziehungen über das Netzwerk. Sie gehört zu einer neuen Generation von Kindern, deren Präsenz im öffentlichen Raum aus unterschiedlichen Gründen sehr schwierig ist und sie zu Gefangenen in den eigenen Räumen werden.

Und schließlich Madeleine Butler, eine amerikanische Journalistin, die nach Venezuela gekommen ist, um ein Porträt über Hugo Chávez zu erstellen.

Natürlich ist auch Hugo Chávez anwesend, in seiner Mehrschichtigkeit als politischer, ideologischer, wirtschaftlicher und sogar religiöser Führer, ohne das er mit eigener Stimme im Roman vorkommt.

Alberto Barrera Tyszka liefert eine komplexe, facettenreiche Erzählung über Venezuela in den letzten Jahren des Lebens von Hugo Chávez. Um das zu erreichen, baut er einen Roman ohne Zentrum oder einer klaren Handlung. Er hat die Fähigkeit und Kraft eine Vielzahl von lebenswichtigen Übergängen im Leben seiner Figuren, ein literarisches Gewand zu geben, vor allem in einfachen Dialoge, die über eine Situation oder ein Ereignis entstehen und schafft so Möglichkeit sich den Charakteren aus verschieden Sichtweisen zu nähern.

Das Buch kommt, bezogen auf die Situation von Venezuela in der Post- Chávez-Zeit zu einem Schluss: die Rückkehr zur Utopie, oder sogar zu einem „Normalzustand“ ist nicht möglich. Und nun, was ist zu tun? Und wenn wir die Entwicklung Venezuelas heute betrachten, dann ist eine Antwort noch immer nicht gefunden. „Willst du zurück?“ – „Das geht nicht mehr.“ – „Was machen wir dann? Wo gehen wir hin?“ (Seite 250)

Das Buch in all seinen Facetten ist zwar gut zu lesen, aber nicht einfach zu verdauen. Aber die Mühe lohnt sich.

Hier geht es direkt zum Buch auf der Seite des Nagels & Kimche Verlages

https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/die-letzten-tage-des-comandante/978-3-312-00994-7/

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Rezension: Die Verlockung – Andrea Camilleri – Nagel & Kimche Verlag

Wer ist frei von Schwächen?

Die Verlockung – Andrea Camilleri (Autor), Karin Krieger (Übersetzerin), 160 Seiten, Verlag Nagel & Kimche AG (25. Juli 2016), 18 €, ISBN-13: 978-3312009961

Gibt es einen Menschen, der frei ist von Schwächen? Nein!

„Die Verlockung“ von Andrea Camilleri erzählt die verzweifelte Suche nach der schwächsten Stelle eines einfachen Mannes, Mauro Assante.

Er ist staatlicher Bankprüfer und soll einen Bericht über die Bank Santamaria abgeben. Das wird nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische Folgen haben.

Während des Schreibens dieses Berichts, er ist in der Endphase, gibt es unerklärliche Ereignisse. Eine mysteriöse Gruppe von Menschen, scheinbar ohne Skrupel und mit der klaren Absicht, den Bericht zu verhindern, stören sein Leben ganz empfindlich. Sie suchen den Riss in seiner Seele. Bisher verlief das Leben unseres Protagonisten routinemäßig und genau, eintönig, aber beruhigend.

Mauro Assante ist, wie wir alle, ein fragiles Geschöpf. Es braucht nur sehr wenig, um es zu zerstören. Wenn eine gute Portion Bösartigkeit mit einem hinterhältigen Geist verbunden ist, gibt es kein Entkommen. Vor allem nicht für Menschen wie Mauro, die keine Kompromisse eingehen wollen und die nicht sehen wollen oder können, dass das Leben voller Missverständnisse ist und die weiterhin nicht sehen wollen oder können, dass Menschen in der Lage sind, alles zu tun, um ihre eigenen Interessen zu schützen. Sollen wir es Dummheit nennen? Oder Naivität? Auf jeden Fall wird das vorsichtige und ruhige Temperament von Mauro, seine analytischen Fähigkeiten und Rationalität, auf die er so stolz ist, auf eine harte Probe gestellt.

Das Buch lässt sich gut zu lesen und bietet ein paar Stunden angenehmer Lektüre. Der Stil von Camilleri ist sehr flüssig und einnehmend. Mit einfachen Gesten und Gedanken zeichnet er sehr effektiv die Charaktere und nutz dabei seine Fähigkeit, Spannung auf zu bauen und Spannung zu vermitteln, ohne sensationell Fakten zu benötigen. Der Motor des Lesers ist der Wunsch herauszufinden, was wirklich los ist und wie es enden wird.

Das Buch beginnt leise und beschleunigt sanft und der Leser wird vom Erzählrhythmus mitgetragen. Nie Langweilig. Ein perfekter Lesegenuss, vor allem durch die psychologische Selbstbeobachtung der Figur des Mauro Assante

Hier geht es direkt zum Buch auf der Seite des Kimche & Nagel Verlages

https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/die-verlockung/978-3-312-00996-1/

Fragen Sie in Ihrer örtlichen Buchhandlung nach diesem Buch. Wenn Sie in meiner Gegend „Landkreis Merzig-Wadern“ leben, dann wenden Sie sich an die Rote Zora: http://www.rotezora.de