Eine Liebesgeschichte, die keine ist
Thomas & Mary – Tim Parks, 336 Seiten, Verlag: Kunstmann, A; Auflage: 1 (15. Februar 2017), 22 €, ISBN-13: 978-3956141645
Tim Parks schreibt oft über Italien, wo er lebt. Sein neuester Roman kehrt zu seinem Geburtsort Manchester zurück.
Szenen einer Ehe. Die alltäglichen Konflikte. Wie Thomas seinen Ehering am Meer verliert, damit beginnt die Geschichte. Es folgen viele Alltagsszenen: Was wird im Fernsehen geschaut? Wer geht wann und vor wem zu Bett? Wer geht wann und warum mit dem Hund raus? Lapidare Alltäglichkeiten.
Nachdem sie zwei Kinder erzogen haben, leben sich Thomas und Maria langsam aber sicher auseinander und Tim Parks folgt diesem schmerzlichen Prozess durch all seine Windungen und Wendungen. In einer Sammlung von miteinander verknüpften Kurzgeschichten, die meisten aus der Sicht von Thomas erzählt, entsteht ein Roman über die kleinlichen Ressentiments, so persönlich und universell wie schmutzige Wäsche. Der Autor liefert eine fast buchhalterisch nüchterne Darstellung des langsamen Auseinanderlebens.
Eigentlich gibt es keinen Grund für das Scheitern von Thomas und Marys Ehe. Stattdessen wird das allmähliche Nachlassen der Intimität und das Einschleichen von Selbstgefälligkeit aufgezeichnet und untersucht. Es liest sich wie Zeugenaussagen, bei denen die Sprecher keine Auswirkungen auf das Ergebnis haben können. Die beschriebenen Banalitäten, von Missverständnissen, Groll und verlorener Leidenschaft sind eine genaue Reflexion darüber, wie die meisten Ehen enden.
Tim Parks folgt nicht einem sauberen Erzählbogen, sondern liefert Fragmente, kurzen Episoden die zufällig in der Zeit und der Sichtweise hin und her springen. So wird der Autor der Komplexität von Beziehungen und der nicht getroffenen Entscheidungen gerecht. Das wirkliche Leben ist komplizierter und jede Wahrheit hat mehrere Perspektiven. Und genau hier liegt meiner Meinung nach der Reiz dieses Romans: Die Dinge sind weder gut noch schlecht, aber es entsteht ein vages Gefühl, das sich die Situation verändern könnte. „Irgendwie kam es ihm so vor, als ließe sich das Problem lösen, wenn er noch einmal ans Meer fahren und den alten 22-karätigen goldenen Ring, auf dessen Innenseite ihre Namen und ihr Hochzeitsdatum eingraviert waren, wiederfinden und ihn sich an den Finger stecken würde; dann würde die Welt wie von Zauberhand wieder so sein wie zuvor. Wie viele Jahre zuvor. Das passiert nicht.“ (Seite 9)
Nicht untypisch für die reale Welt, Maria selbst hat keine Stimme. Wir sehen sie durch die Augen der anderen. So scheint es mir auch mehr ein Buch zu sein über Thomas und nicht über Thomas & Maria. Thomas ist die Art von Mann, der nicht bereit ist zu sehen, wie er sich anders hätte verhalten können.
Der Stil von Tim Parks ist wie immer kurz, bündig und unaufgeregt. Und eines beherrscht er bis zur Perfektion: zu zeigen, dass die kumulative Wirkung von kleinen Ereignissen genauso schädlich sein kann, wenn nicht mehr als eine einzige, große Katastrophe. Aufschlussreich wie Tim Parks es schafft sich in Gedanken- und Gefühlsgänge dieses Mannes hinein zu versetzen und die widersprüchlichen Gefühle offenlegt.
Ein amüsanter und gleichzeitig tief trauriger Roman, ein literarischer Roman, der die Tragödie einer gebrochenen Ehe mit komödiantischen Untertönen porträtiert. Für den geübten Leser besonders reizvoll: Er muss selbst beurteilen, ob das alles sinnvoll ist.
Hier geht es direkt zum Buch auf der Seite des Antje Kunstmann Verlages
http://www.kunstmann.de/titel-1-1/thomas_und_mary-1173/
Fragen Sie in Ihrer örtlichen Buchhandlung nach diesem Buch. Wenn Sie in meiner Gegend „Landkreis Merzig-Wadern“ leben, dann wenden Sie sich an die Rote Zora: http://www.rotezora.de