Archiv für den Monat Februar 2016

Rezension: Wozu macht man das alles ? – Frederik Sjöberg – Hanser Verlag

Wildes Denken

Wozu macht man das alles?: Geschichten und Essays von Fredrik Sjöberg (Autor), Paul Berf (Übersetzer), 224 Seiten, Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG (22. Februar 2016), 19,90 €, ISBN-13: 978-3446250642

Das Umschlagbild zeigt ein glänzenden Citroen aus den 60iger Jahren, voller Kinder und Erwachsene. Außerhalb des Autos beugt sich eine Frau und ein Mädchen zur Heckscheibe, während ein Junge, vielleicht vier oder fünf Jahre alt, das im Lack reflektierte Bild seines vorgestreckten Bauches betrachtet.

Dieses Bild scheint mir typisch für den Autor und das vorliegende Buch: ein Narziss in ihm (und in uns) der zu Selbstreflexion und Selbstbeobachtung hingezogen wird, aber auch das neugierige Beobachten der Welt außerhalb des Selbst. Und Je mehr sich der Junge zurückbeugt, je größer wird der Bauch im konvexen Spiegel des Lacks. Warum sich mit dem Vettern auf dem Rücksitz auseinandersetzen, wenn es so ein süßes Proben zu untersuchen gilt?

Und genau das macht Fredrik Sjöberg in dieser Sammlung von insgesamt 12 Geschichten, persönlichen Anekdoten, Essays, sehr unterhaltsam mit einer cleveren Ironie.

Ob es um Tropfsteinhöhlen geht oder um unbekannte Krebstiere, um Guonaokäfer, neben dem Interesse an allem was kriecht und fliegt und wächst scheint kein Thema zu klein, um nicht Aufmerksamkeit zu bekommen. Es geht um das Wort ‚Bing’ oder um Briefmarkensammlungen, um umgangssprachliche Ausdrücke für die menschlichen Genitalien,um Ludwig Tieck, um die Frühzeit des Naturschutzes,um Lenin in Stockholm oder die Erfindung der Tasche. Oder wo er nichts für sein geschultes Auge findet, dort sucht er unverwechselbare Seelenverwandte, um sie zu porträtieren.

Weil Menschen mehr an Menschen als an Mäusen interessiert sind, geht es in all seinen Essay und Geschichten immer auch um menschliche Phänome, um ausgefallene Passionen. Es sind kleine, elegante Mini-Vorträge, kleinen unterhaltende Einheiten. Sjöberg verfolgt Seiten- und Nebenwege, nimmt sich den gefundenen Merkwürdigkeiten und (auto)biographischen Souvenirs mit besonderer Sorgfalt an, und fächert so sukzessive seinen weitverzweigten Erfahrungsschatz auf.

Sjöbergs Essays sind solchen beweglichen und wandelbaren Gegenständen gewidmet: Zu aller erst finden die Themen ihren Darsteller Sjöberg – und nicht umgekehrt –, der sich deren Bedeutung erst allmählich im Laufe seiner Überlegungen bewusst wird. Als neugieriger Sammler. Dass der Autor lange als Entomologe tätig war, rechtfertigt die Einschätzung, dass hier ein genauer Beobachter nach einem eigenwilligen poetischen System sammelt und reflektiert.

Fredrik Sjöberg hat einen ganz besonderen Stil. Er sammelt Fehler, wahrscheinlich leicht nach vorn gebeugt die Hände auf dem Rücken, schreibt er doch zurückgelehnt, mit einem Augenzwinkern, in einem britisch anmutenden Stil. Sehr vergnüglich und mit einem guten Auge für Tiefen unter der glänzenden Oberfläche. Ironisch, auf eine ein wenig altmodische, kunstvolle Art und Weise.

Dieses Büchlein erfordert Energie für all diese Neugier, und auch die richtige Stimmung. Und Sie sollten viel Zeit mitbringen, für die hoch interessanten Details der Geschichten. Aber wer es liebt, Gewicht und Relevanz der behandelten Gegenstände und Themen selbst ein zu schätzen, der wird ein wahres Lesevergnügen erleben.

Dann beantwortet sich auch die Titelfrage „Wozu macht man das alles?“ selbst – in diesem Vorgang des Suchens, des Herantastens, des Skizzierens und des Verwerfens. Es ist eine Ermutigung zum ‚wilden Denken’.

Wer daran Freude hat, dem sein dieses Buch sehr ans Herz gelegt.

Hier geht es direkt zum Buch auf der Seite des Hanser Verlages

http://www.hanser-literaturverlage.de/buch/wozu-macht-man-das-alles/978-3-446-25064-2/

Fragen Sie in Ihrer örtlichen Buchhandlung nach diesem Buch. Wenn Sie in meiner Gegend „Landkreis Merzig-Wadern“ leben, dann wenden Sie sich an die Rote Zora: http://www.rotezora.de

Rezension: Die schönen Fremden – Mircea Cartarescu – Zsolnay Verlag

Komisch – Ironisch – Grotesk

Die schönen Fremden von Mircea Cartarescu (Autor), Ernest Wichner (Übersetzer), 304 Seiten, Paul Zsolnay Verlag (1. Februar 2016), 21,90 €, ISBN-13: 978-3552057647

„Die schönen Fremden“ hat nichts mit Liebe oder Sex zu tun, was man bei diesem Titel zunächst denken könnte.

Das Buch besteht aus drei Erzählungen: Anthrax, Die schönen Fremden und Wie von Bacovian.

In Anthrax erzählt er, wie der Autor einen Briefumschlag aus Dänemark bekommt, der mit dem tödlich Milzbrand kontaminiert ist. Seine Abenteuer auf der Polizeiwache sind absolut köstlich, eine Welt des Absurden. Es ist die komischste Geschichte in dieser kleinen Sammlung.

Die zweite Geschichte ist diejenige, die dem Buch seinen Titel gab. Der Autor und 11 weitere zeitgenössische rumänische Schriftsteller („wie ich ein Dutzendautor war“ Seite 55) sind auf einer Tour durch Frankreich eingeladen. Sarkasmus, Bitterkeit und groteske Akzente sind in vielfältigen Themen (Rumäniens Image in der Welt oder die angespannten Beziehungen zwischen rumänischen Autoren) miteinander verflochten. Vielleicht die ironischste Geschichte.

Die dritte Geschichte „Wie von Bacovian“ ist bei weitem die groteskeste. Ein Autor, gierig nach Ruhm und öffentliche Anerkennung, wir zu einer Reise nach Bacau eingeladen, um dort Gedichte zu präsentieren. Stattdessen findet er eine staubige kleine Stadt und eine Gruppe von lokalen Autoren, deren Hauptanliegen gegenseitige Schmeicheleien sind.

In den drei Geschichten erleben wir einen ganz unterschiedlichen Autor einmal spielerisch und humorvoll, sarkastisch und bitter, grotesk und provozierend. Alle drei Geschichten präsentieren unangenehme Erinnerungen und Missverständnisse. Sie zeigen den Konflikt des Autors mit dem Schicksal, aber als bittere Komödie dargestellt

Den Leser erwartet eine unkonventionelle Darstellung der menschlichen Welt, wie ein großer Zirkus. Mircea Cărtărescus Stil besticht durch Authentizität in einem typisch postmodernen Werk, bei dem jede neue Seite viel Spaß beim Lesen verspricht. Mircea Cărtărescu ist ein großer Schriftsteller. Er versteht zu erzählen, zu bezaubern

In all den Geschichten lernen Sie den Schriftsteller als einen Mann kennen, einen Mann wie jeder andere auch, mit seinen kleinen Momenten der Paranoia, seiner Gier, seinem Stolz, seiner falschen Bescheidenheit und seinen Kriege mit Literaturkritiker und Gegner. Und wir erfahren viel über rumänische Literatur und ihre Verfasser. „Wie traurig doch das Schicksal rumänischer Schriftsteller ist: Merkwürdigkeiten, die nicht einmal interessant sind, aus einem völlig ignorierten Raum, einem Land ohne Identität, ohne Geschichte, von dem wie von seinen Bewohnern nichts zu erwarten ist.„ (Seite 217)Man erlebt, wie der Verfasser die heutigen Welt sieht, in der wir leben

Ich habe selten ein Buch gelesen, bei dem ich so viel gelacht habe; bei dem ich aber auch so viel zum Nachdenken angeregt wurde. Ein Buch, das sich leicht und schnell lesen lässt.

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http://www.hanser-literaturverlage.de/buch/die-schoenen-fremden/978-3-552-05764-7/

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Rezension: Der Fall – Diogo Mainardi – Zsolnay Verlag

Ein großartiges Buch über Menschlichkeit

Der Fall: Erinnerungen eines Vaters in 424 Schritten von Diogo Mainardi (Autor), Wanda Jakob (Übersetzer), 176 Seiten, Paul Zsolnay Verlag (22. Februar 2016), 17,90 €, ISBN-13: 978-3552057357

Der brasilianische Journalist Diogo Mainardi lebt mit seiner Frau am Canale Grande in Venedig, als das Undenkbare geschieht: durch grobe Behandlungsfehler wird sein Sohn Tito mit Zerebralparese geboren. Das Krankenhaus war für eine Menge von Fehlern bekannt, die von dem medizinischen Team gemacht wurden. Aber Mainardi wählte es trotzdem, weil es in der Nähe seiner Wohnung lag und wegen der beeindruckenden Ästhetik der Scuola Grande di San Marco, einem imposanten Renaissance-Gebäude aus dem frühen sechzehnten Jahrhundert, das das Krankenhaus von Venedig beherbergt. Im Nachhinein gibt er sich genau soviel Schuld, wie dem Team im Krankenhaus.

Denn schon als er mit seiner Frau Anna zur Geburt in dieses Krankenhaus ging, stellt er fest: „Bei dieser Fassade nehme ich sogar ein verkrüppeltes Kind.“ (Seite 19) Und das geschah auch, wie wir schon in der ersten Zeile erfahren. Zerbralparese in Folge von Fehlern, von einer „Dottoressa F“ begangen, als das Kind während der Geburt für 45 Minuten ohne Sauerstoffversorgung blieb.

424 fragmentarischen Textnotizen und Bildern scheinen mir beispielhaft für die verrückten, unlogischen Wege des Denkens und der Gefühle zu sein, die kontrollieren wollen aber auch die Kontrolle verlieren. So schildert der Autor seine Reise mit seinem Sohn, vom schwierigen Moment der Geburt an bis zu der Erziehung eines Kindes mit Zerebralparese und ihren Auswirkungen. Warum gerade 424 sehr kurze Kapitel, teilweise mit weniger als vier Zeilen? Es sind genau die maximale Anzahl Schritte, die Tito, ohne zu fallen gehen konnte. Das sind Titos tägliche Epiphanien: 424 Schritte, hart, kurz und durch Stürze unterbrochen.

Zwei Erzählungen, die sich gegenseitig überlappen, umkreisen Tito: das Familiendrama und die Geschichte über die Ideen und die Kunst, die ein Ausdruck der philosophischen, religiösen oder ideologischen Wahrheiten sind.

Pragmatismus, Skepsis und die Art und Weise wie er die Fülle von Informationen miteinander verbindet, hat mich sehr beeindruckt. Und er hat Informationen: Er beschreibt genau die Mittel, die Krankenhäuser verwenden, um die Geburt zu beschleunigen, was ja der Auslöser der Zelebralparese war. Er spricht über die Behandlungen, die für seinen Sohn vorgeschlagen wurden. Er spricht auch von Technik, Städtebau, Literatur, Kino, Kunst. Das intelligente Geheimnis dieses Buches besteht in der Fähigkeit von Diogo Mainardi, mit überraschenden Assoziationen scheinbar ferne Dinge miteinander zu verbinden und in Zusammenhang zu bringen. Diogo Mainardi sieht Titos Schatten in den Bildern von Rembrandt, in den Versen von Ezra Pound, in der Geschichte Italiens.

Es ist eine Liebesgeschichte, die mit einem medizinischen Fehler und einer Fehleinschätzung beginnt. Es ist Autobiographie in reinem Zustand. Es gibt keine Charaktere. Es gibt keine Handlung. Es gibt kein Szenario, sondern eine Collage von Referenzen zu Architekten, Gebäuden, Plätzen, Wegen und Situationen, die den Sinn dieses Buches ergeben, gerade weil sie Teil des Lebens des Autors sind. Es gibt leere Räume, Stille, aber auch einem Hauch von Bitterkeit und Enttäuschung.

Eine brillante Arbeit der „experimentellen“ Literatur, in der besten Tradition von Autobiographien, wo weniger Gewicht auf das gelegt wird, was passiert ist, als auf das, was der Autor (und damit wir als Leser) sehen können/wollen, was passiert ist. Was wir nach allem realisieren, ist die geistige Schöpfung der Wahrheit.

Ich empfehle Ihnen diese Buch. Jeder sieht, was er will. Lesen Sie „Der Fall“ von Diogo Mainardi, damit Sie sehen können, was Sie wollen.

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http://www.hanser-literaturverlage.de/buch/der-fall/978-3-552-05735-7/

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Die Lügen der Anderen – Mark Billingham – Heyne Verlag

Ein perfekter Urlaub … ein perfekter Mord?

Die Lügen der Anderen von Mark Billingham (Autor), Peter Torberg (Übersetzer), 416 Seiten, Heyne Verlag (8. Februar 2016), 9,99 €, ISBN-13: 978-3453438330

Drei Paare treffen sich an einem Pool in einem Resort in Florida: die liebenswürdige, übergewichtige Angie und ihr Ehemann Barry; der unausstehliche Frauenheld Ed und seine scheinbar tolerante Frau Sue und die aufstrebende Schauspielerin Marina und ihr anbetender Partner Dave. Die sechs werden bald zu Freunden, auch wenn jedes Paar Vorbehalte gegenüber den anderen hat. Billingham versteht es diese Kombination so brillant dar zu stellen, dass der Leser auch starke Vorbehalte gegen fast jeden von ihnen hat und nicht weiß, wem man vertrauen kann.

Ein ortsansässiges Mädchen wird ermordet, kurz bevor sie nach Hause zurückkehren. Dort, in Großbritannien, treffen sie sich wechselseitig zum Abendessen wieder, um sich Urlaubsfotos an zu sehen, in Erinnerungen zu schwelgen und auch, um darüber zu diskutieren, was dem armen Mädchen widerfahren sein könnte. Ihre Beziehungen scheint sich subtil verändert zu haben. Es wird schnell klar, dass Lügen erzählt wurden: zu der Polizei in Florida, zu Freunden, Partnern und – die schlimmste – zu sich selber. Die britischen Polizei und die Polizei aus Florida ermitteln und das Misstrauen wächst.

Mit seinem direkten Schreibstil, mit seinem scharfen Auge für Charakter und mit seinen witzigen Dialogen enthüllt Billingham seine Charaktere, brillant und einfühlsam. Es ist mehr als nur die Charakterentwicklung die überzeugt, es ist vor allem die Spannungen zwischen diesen Menschen, von denen jeder einzelne potenziell in den Kriminalfall verwickelt sein könnte, oder eben auch nicht.

Billingham zeichnet seine Charaktere äusserst geschickt und völlig glaubwürdig – es sind die Paar von nebenan. Ihre Probleme, Ängste und Leidenschaften könnten unsere eigenen sein. Aber durch dieses brillante Buch zieht sich eine Spur des reinen Bösen, der Mörder versucht eine Rechtfertigung und Erklärung für seine grässlichen Taten. Unterschiedliche Erzähler liefern unterschiedliche Sichtweisen. Mit am beeindruckendsten sind diese Ich-Erzählungen des Mörders.

Billingham ist ein Meister im Vermitteln der Frustrationen und der emotionalen Schmerzen im täglichen Leben von einfachen Menschen. Und er lässt uns zur gleichen Zeit verstehen, dass es weit weniger normale Menschen sind, als die wir uns vielleicht denken mögen. Die Spannung wird fachgerecht gebaut und die Auflösung des Geheimnisses ist unerwartet. Ein perfektes Ende eines hochspannenden Thrillers.

Die Lügen der Anderen von Mark Billingham ist eine interessante Kombination von Charakterstudie und Psychothriller verbunden mit einem guten klassischen whodunnit-Krimi. Ein faszinierendes Rätsel. Beste Unterhaltung garantiert. Eine wundervolle, unterhaltsame Lektüre, die über den Kriminalfall hinaus ganz ausgezeichnet die inneren Dramen und Frustrationen gewöhnlicher Menschen aufzeigt. Sehr zu empfehlen.

Hier geht es direkt zum Buch auf der Seite des Heyne Verlages

http://www.randomhouse.de/Taschenbuch/Die-Luegen-der-Anderen/Mark-Billingham/Heyne/e480028.rhd

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Rezension: Wir bleiben nicht lange – Marjaleena Lembcke – Nagel & Kimche

Memento mori – Carpe diem

Wir bleiben nicht lange von Marjaleena Lembcke (Autor), 192 Seiten, Verlag: Verlag Nagel & Kimche AG (22. Februar 2016), 19,90 €, ISBN-13: 978-3312006885

Über das Altwerden, über das „unheilbar krank werden“, über das langsame Sterben, das schnelle, das einsame irgendwo auf dem Boden eines Krankenhauszimmer, darüber gibt es Unmengen an Büchern. Marjaleena Lembcke hat vielleicht eines der besten Bücher zu diesem Thema geschrieben. Es macht denen Mut, die ihn brauchen, und spendet ihnen Kraft, die sie dringend benötigen. Eine bewegende Auseinandersetzung mit den Themen Krankheit, Sterben und Tod, aber auch Leben und Familie. Sie macht das Unfassbare etwas greifbarer und erklärt das, was man nicht erklären kann.

Die Geschichte dreht sich um zwei Schwestern. Da ist einmal Sisko, krebskrank und sie liegt in der Royal Mardsen Klinik in London. Sisko raucht und trinkt gerne. „Kleine Schlucke waren ihre Spezialität.“ (Seite 29) Zum anderen ihre sechs Jahre ältere Schwester Mirja. Sie ist Schriftstellerin, lebt in Deutschland und ist zu ihrer Schwester nach London geflogen.

Sie reden über Familie, Eltern, Geschwister, ihre finnischen Wurzeln und über ihre Beziehung zueinander. Viele glauben, „dass ihre Beziehung […] schlecht sei. Vielleicht war sie auch nicht gut. Aber sie war eng.“ (Seite 178)

Die meisten ihrer Gespräche finden im Raucherzimmer statt, wo sie warteten bis sie „dran“ waren, „als stünden sie in einer Warteschlange vor der Supermarktkasse.“ (Seite 34) Und „Alle, die auf ihren eigenen Tod warten, hoffen, dass ein anderer vor ihnen stirbt.“ (Seite 34) Und in all ihren Gesprächen versuchen sie, Pflaster auf Wunden zu legen, die längst ausgeblutet sind.

Die Autorin schreibt einfach und schlicht, aber nicht banal. Vor allem schreibt sie ehrlich.

Marjaleena Lembcke vermittelt ein atmosphärisch dichtes Bild. Sie gleitet nie in Kitsch oder Rührseligkeit ab. Und sie erteilt auch keine weisen Ratschläge. Es ist einfach eine sehr feinfühlige Geschichte. Und gerade die emotional-spröde Sprachweise, ruhig und lakonisch erweckt diese Geschichte und ihre Charaktere zu wahrem Leben.

Für mich ist es einer der besten Geschichten über dem Tod, das Sterben und das Abschiednehmen, weil es eben eine ruhige Geschichte ist, die sich dem Menschen zuwendet und so auch Ängste nehmen kann.

Für alle, die sich mit Tod und Sterben auseinandersetzen möchten, vor allem wenn sie gerade erst damit beginnen, ein wichtiges und empfehlenswerte Buch.

Hier geht es direkt zum Buch auf der Seite des Hanser Verlages

http://www.hanser-literaturverlage.de/buch/wir-bleiben-nicht-lange/978-3-312-00688-5/

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Rezension: Kein Morgen ohne Sorgen – Gemma Correll – Antje Kunstmann Verlag

Es könnte viel, viel schlimmer sein

Kein Morgen ohne Sorgen. Handbuch für Verzweifelte von Gemma Correll (Autorin), 112 Seiten, Verlag Antje Kunstmann GmbH; Auflage: 1 (17. Februar 2016), 12,95 €, ISBN-13: 978-3956141010

Von Zweifeln gelähmt? Angstgefühle? Ein bisschen in Panik? Es ist nicht schwer, sich vom Leben überfordert zu fühlen. Gemma Correll hilft Ihnen, darüber zu lachen … zu mindestens etwas.

Gut, es kann ziemlich anstrengend sein, ein Erwachsener zu sei: Firefox stürzt immer ab. Kreditzahlungen kommen zu spät. Ihr Erstgeborener teilt unwissentlich seinen Namen mit Brangelinas nächstem Kind? Besorgt über seltene Erkrankungen? Peinliche soziale Situationen? Ärger mit dem Haustier? Unzufrieden mit dem eigenen Körperbild? Es ist schon eine Besorgnis erregende Welt da draußen.

Aber keine Angst, zum Glück gibt es Gemma Correll. Ihr Schlüssel ist, ein wenig Spaß auch und vor allem in diesen stressigen Momenten zu zeigen. Sie befreit uns von all diesen Ängsten mit scharfem und unbeschwertem Witz.

Das Buch enthält eine Reihe von Zeichnungen, Cartoons, Comics, die die verschiedene Arten von Dingen, die uns Sorgen machen. Gemma Correll zeichnet witzige, manchmal bissige, Karikaturen über die Dinge, die in unseren Köpfen vor sich gehen. Sie macht sich lustig über die emotionalen – und manchmal einfach nur albernen Dingen, die wir tun. Einige von ihnen sind nett, einige von ihnen lassen Sie schmunzeln, und bei andere werden Sie laut lachen. Und jeder findet Dinge, die er selbst tut.

Jede Seite hat ein anderes Thema: Hypochondrie, Mode, Essen, Liebe, Wellness, Feiertage, das Erwachsenen-Leben und andere Malaisen.

Die Illustrationen sind wunderbar und mehr als treffend. Gemma Correll ist urkomisch. Meine absoluten Lieblingsseiten: Entspannen beim Yoga (Seite 20) und Geologische Analyse einer Handtasche. (Seite 31) Ebenso überzeugend die Texte mit so wunderbaren Wortschöpfungen wie Augenbrauensäcke oder Bauchnabelödem.

Das Buch ist sehr schnell zu lesen. Sie können beispielsweise eine Seite pro Tag lesen oder, wie ich alles auf einmal lesen … aber es wird ein wahrer Spaß sein. Vor allem ist es die Art von Buch, das Sie ständig auf Ihrem Couchtisch liegen haben sollten um immer wieder darin zu schmökern.

Ich denke, das ist ein wunderbares Geschenk für alle Besorgten und Verzweifelten, die sich trotz allem einem gewissen Sinn für Humor bewahrt haben. Sie wird hier eine Seelenverwandte finden.

Bei diesem Büchlein werden Sie Ihre Sorgen vergessen. . . Ein bisschen.

Hier geht es direkt zum Buch auf der Seite des Antje Kunstmann Verlages:

http://www.kunstmann.de/titel-0-0/kein_morgen_ohne_sorgen-1188/

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Rezension: V5N6 – Luise Welsh – Antje Kunstmann Verlag

Die Zivilisation auf dünnem Eis

V5N6. Tödliches Fieber von Louise Welsh (Autor), 352 Seiten, Verlag Antje Kunstmann GmbH; Auflage: 1 (17. Februar 2016), 19,95 €, ISBN-13: 978-3956140907

Das neue Buch von Luise Welsh ist das erste in einer angekündigten Trilogie und spielt so mit unseren Erwartungen. Es beginnt mit einem Paukenschlag: Ein Tory-Abgeordneter, ein Hedge-Fonds-Manager und ein Priester eröffnen das Feuer auf unschuldige Menschen. Dieser Prolog ist so stark, dass es eine Verbindung mit dem, was folgt, geben muss. Aber der Zusammenhang wird nie erklärt. So verleiht es eine geisterhafte Unsicherheit dem Rest des Buches, wie ein Versprechen, das in den folgenden Bänden erfüllt wird. Natürlich bleiben viele Fragen unbeantwortet. Doch Luise Welsh findet die ideale Balance, das Geheimnis wird schön eingebunden und trotzdem bleibt genügend Spannung, die mich sehr gespannt auf die nächste Ausgabe warten lässt.

Die Pandemie kommt zu einem schlechten Zeitpunkt für Luise Welshs Heldin, Stevie Flint, die anscheinend gedenkt eine ernste Beziehung zu dem Arzt Simon Sharkey einzugehen. Zu Beginn des Romans taucht Sharkey nicht zu einer Verabredung mit ihr auf. Aber zumindest hat er eine Entschuldigung. Er ist tot, scheinbar durch seine eigene Hand, obwohl dies schnell in Zweifel gezogen wird.

In der folgenden Handlung geht es um eine drohende Apokalypse, um nahezu biblische Gleichnisse einer unvorstellbar gründlichen Zerstörung. Thema ist die Heimsuchung durch Plagen und soziale Probleme, die angeblich aus „nicht entwickelten“ Nationen auf wohlhabende westlichen Gesellschaften zukommen. Ist es das Ende der Welt, wie wir sie kennen und warum fühlen wir uns trotzdem in Ordnung?. Die Geschichte entfaltet sich durch die Ausbrüche von fast surrealer Gewalt, die Stevie Flints Alltagsroutine destabilisieren und sie spürt, „… dass etwas aus dem Gleichgewicht geraten war, die Welt nicht mehr so war, wie sie sein sollte.“ (Seite 279)

Stevie Flint, eine ehemalige Journalistin arbeitet nun als Moderatorin auf einem TV-Shopping-Kanal. Die neuen Wendungen der Ereignisse fordern ihre journalistischen Instinkte heraus. Luise Welsh schickt ihre Heldin auf einer Reihe von Verfolgungsjagden und riskanten Begegnungen. In vielerlei Hinsicht ist Stevie Flint ein Spiegelbild der Stadt, die sie umgibt: sie ist energisch und zielgerichtet, aber auch anfällig für Angriffe. Ihre extreme Zähigkeit ist das einzige, was ihr durch ein Albtraum-Szenario hindurch hilft.

Wir folgen nebeneinander den Irrungen und Wirrungen mehreren Geschichten gleichzeitig: London im Griff einer hochansteckenden Seuche, die Aufdeckung eines medizinischen Skandals, die Fragmentierung der Gesellschaft. Und wir folgen Stevie als sie den Mord an ihrem Freund zu lösen versucht. Luise Welsh vermittelt ein wachsendes Gefühl der Bedrohung, als die institutionelle Infrastruktur der Staat zerfällt und die Überlebenden in ausuferndem Selbstschutz zurück lässt.

Luise Welsh zeigt uns durch ihre intimen Schilderungen des Alltags und seiner Menschen. Wie ein in einem Spiegel mysteriös gebrochenen Spiegel den Zusammenbruch. Dieser unheimlich modulierte Realismus durchzieht Louise Welsh neues Buch. Sie scheint spezialisiert auf Geheimnisse, auf recht kühle Sexualität, auf die plötzliche Umkehrungen des Glücks und auf die unruhigen Andeutungen des Untergangs. Sehr gekonnt zeigt sie uns eine dystopische Gesellschaft, die zwar augenscheinlich frei ist von Armut, Seuchen, Krankheit, Konflikten und sogar emotionaler Niedergeschlagenheit. Aber unter der Oberfläche offenbart sich jedoch genau das Gegenteil.

Welsh ist besonders gut bei der Beschreibung der institutionellen und sozialen Störung, die den Ausbruch der Epidemie begleiten, als ob Politik und Verwaltung selbst von einem Virus angegriffen wäre. Welsh hat eine unheimliche Begabung, was die Darstellung physischen Ekels angeht. Und sie hält den Leser sehr nahe am Geschehen und zur gleichen Zeit erleben wir den Zerfall der Gesellschaft durch Stevie Flints Augen.

Bis zum Ende des Romans, hat Stevie sich von ihrem femininen Look befreit. Ist sie am Anfang noch durch ihre lackierten Nägeln charakterisiert, trägt sie dann Simon Sharkeys Kleidung und hat ihr Haar abrasiert. Das Feminine hat keinen Platz in einer gefährlichen Antiutopie einer Gesellschaft. Es gibt keine Töchter, keine Schwestern, keine Mütter in dieser trostlosen Welt. Als die Stadt ins Chaos versinkt, durchstreifen Männer die Straßen und Frauen sind unsichtbar. Vielleicht ist es das, was wir wirklich fürchten sollten. Denn, wenn Sie als Leser nach der letzten Seite dachten, das kann dir nicht passieren, so werden Sie dieses Mal feststellen, dass es unbestreitbar auch in unserem Leben so kommen könnte. Was Luise Welsh zeigt ist nur allzu glaubwürdig, real und schrecklich. Sie werden gezwungen sich Fragen zu stellen, deren Antworten Ihnen nicht gefallen werden.

Luise Welsh schafft eine glänzende, phantasievolle Mischung aus Geheimnis und Apokalypse, was sehr gut unterhält und süchtig macht nach dieser Lektüre, mit seiner perfekten Spannung, ihrer wunderbar überzeugenden Hauptfigur Stevie Flint und der brillanten Schreibweise.

Eine höchst interessante Mischung aus Seuchengeschichte und spannendem, klaustrophobisch-medizinischen Krimi mit einem apokalyptischen Hintergrund. Insgesamt eine äußerst unterhaltsame und spannende Geschichte – und ich empfehlen sie auf jeden Fall.

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http://www.kunstmann.de/titel-0-0/v5n6-1074/

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Rezension: Bella Mia von Donatella Di Pietrantonio – Antje Kunstmann Verlag

Ein Augenblick kann alles ändern.

Bella Mia von Donatella Di Pietrantonio (Autor), 224 Seiten, Verlag Antje Kunstmann GmbH; Auflage: 1 (17. Februar 2016), 18,95 €, ISBN-13: 978-3956140914

Es gibt viele Wege, um den Schmerz zu zeigen. Wird der Schmerz aber je vergehen?

Das Erdbeben vom 6. April 2009 in Aquila war für viele Überlebende der Beginn eines vorläufigen Lebens mit vielen leeren Versprechungen. „Als sie dir diese Luxusbaracke zugewiesen haben, haben sie genau darauf spekuliert, dass du dich daran gewöhnst und aufhörst zu fordern, dass die Stadt wieder aufgebaut wird.“ (Seite 158) Eines davon war das CASE-Projekt. Hier lebt Caterina mit ihrer Mutter und ihrem Neffen Marco, der Sohn ihrer Zwillingsschwester Olivia, die bei diesem Erdbeben getötet wurde.

Es wäre zu einfach zu sagen, dass dies ein Roman über das Erdbeben in L’Aquila ist. Ja, es ist wahr, das Buch erzählt von Zerstörung und Zusammenbruch, von Schutt und Übergangswohnungen. Aber: „Das Erdbeben hätte es nicht gebraucht; schon vorher hatte jeder seinen eigenen Schmerz.“ (Seite 10)

Auf der einen Seite lesen wir eine Geschichte über das Alltägliche, vor und nach dem Erdbeben. Andererseits begegnen wir hier der Innenansicht von Überlebenden. Eine direkte und intensive Erzählung über die Fragilität des menschlichen Daseins, deren Hauptbestandteile Schmerz und Scham sind. Und über allem scheint der „Der Schrei von Edward Munch“ und die Frage von Hiob: „Warum?“ zu schweben.

Catherine und Olivia … oder besser gesagt, die andere Olivia, Olivia und ihre Schwester, Olivia und die andere. Die Protagonisten dieses ergreifenden Romans sind Zwillinge. In der Tat ist der Protagonist „der andere“, der Zwilling, der nicht abheben wollte, der schwache, zerbrechliche, kleine Zwilling: Caterina. Zwillinge sind nie wirklich Zwillinge. Es sind nur Details die diesen Unterschied unüberwindlich machen. Olivia ist derjenige, die schon im Bauch der Mutter mehr Liebkosungen erhält. Sie wird mehr essen. Sie wächst mehr. Sie ist schön, intelligent, stark und entschlossen. Die andere nicht. Oder zumindest nicht so viel wie sie. Aber die andere ist die, die überlebt und berichtet

Das sind die durchgängigen Themen: Trauer und Wut über das ausgestorbene kleine Glück, das die Icherzählerin im Staub und in den Rissen ihres ehemaligen Wohngebäudes sucht. „Das graue Geflecht der Risse auf den Häuserfassaden verblasst langsam zu unregelmäßigen Girlanden, in die Ritzen im Putz schleichen sich Wind und Wetter ein.“ (Seite 78). Die Sorge um den hilflosen und mutterlosen Sohn. „Untröstlich saß er da, unserer hilflosen Fürsorge ausgesetzt.“ (Seite 33) Die Strafe für ihre Mutter. Diese „fleht zu ihrem Gott und tröstet sich damit.“ (Seite 12) All das ist erst beschränkt auf den Rand ihrer Träume. Diese ändern sich langsam, gleiten bösartig in unbekanntes Terrain, wo aus der Leere ihrer Seele die Widersprüche von Zwillingen schamlos zu Tage treten und die Grenze zeigen, ab der das Selbst aufhört, ein Selbst zu sein. „Diese schwärzesten Abschnitte der Nacht gehörten immer ihr, sie fehlt mir gnadenlos …“ (Seite 118)

Es ist der verzweifelten Versuch, das Leben zu akzeptieren. Aber auch die Darstellung von Schmerz, wie einen erstickten Schrei der Liebe. Ein unterschwelliger Charme zieht sich durch dieses Buch, versteckt in den Rissen des Verputz und in den Zwischenräumen des Herzens.

Der Schmerz des Verlustes und der menschlichen Ohnmacht schwebt in der kleinen Wohnung, infiziert alle, erobert die schlaflosen Nächte und stört die frühen Sonnenaufgänge. Donatella Di Pietrantonio hat einen Roman über Familie und Liebe geschrieben, über zerbröckelnde Fernbeziehungen, über die Notwendigkeit des Körpers eines Freundes, um ihre Leiden oder ihren Durst nach Umarmungen zu teilen. Ein Roman über die Zärtlichkeit, die Schuld, die untrennbare Verbindung von zwei Zwillingsschwestern. Sie erzählt die Reise von ihrer Konzentration auf ihre Trauer, die Wiedereröffnung in der Welt der anderen.

Donatella Di Pietrantonio schreibt sehr dicht, manchmal komplex, manchmal sanft und effektiv über die Beziehung von Liebe und Hass, Schmerz in unauslöschlichen, schillernden Bilder. Und vor allem die dramatische Schönheit, der leeren, zerstörten Häuser und Plätze, die noch erzählen. Sie schreibt einfach, aber prägnant, witzig und sie trifft einen außerordentlichen emotionalen Ton. Mir kommt es vor, wie eine unaufhörliche Serie von Fotos oder kleinen ergreifenden und aufschlussreichen Gemälden. Das schmerzhafte Thema, das behandelt wird, wird durch eine beeindruckende und anspruchsvolle Prosa, die in den Winkeln der Tragödie köstliche Poesie versteckt, gemildert.

Für alle, die sehr gut geschriebene, intensive Geschichten lieben, die dem Schmerz ausdrücken und eine ergreifende Beschreibung liefern, die aber nie banal werden und auch Hoffnung bieten. Ein Buch dass Sie in einem Zug durchlesen.

Hier geht es direkt zum Buch auf der Seite des Antje Kunstmann Verlages

http://www.kunstmann.de/titel-0-0/bella_mia-1101/

Fragen Sie in Ihrer örtlichen Buchhandlung nach diesem Buch. Wenn Sie in meiner Gegend „Landkreis Merzig-Wadern“ leben, dann wenden Sie sich an die Rote Zora: http://www.rotezora.de

Wer Schmetterlinge lachen hört …

Wer Schmetterlinge lachen hört …

Geschichten leben, erleben und erzählen

Wer Schmetterlinge lachen hört, weiß wie Wolken schmecken. Der sieht und erkennt auch die kleinen, feinen Dinge, die wir sonst nicht sehen und erkennen. Dieser Mensch lebt positiv und weiß die kleinen Dinge im Leben zu schätzen. Das ist jemand, der auch dann noch lächeln kann, wenn die Welt zusammen bricht und der sich seiner Tränen nicht schämt. Jemand der ein Herz aus Gold hat und die Fähigkeit besitzt, anderen Menschen ein gutes Gefühl zu vermitteln. Jemand der Wärme und Schutz gibt, ohne sich dabei zu verlieren und der ungehindert durch den Tag träumen kann und dennoch die Realität sieht … das ist ein Mensch der Schmetterlinge lachen hört und auch weiß, wie die Wolken riechen.

Und ein solcher Mensch sieht, hört, schmeckt, riecht, erfährt sein Leben mit allen seinen Sinnen. Und all die Geschichten, die jedes Leben bis zum Überlaufen füllen, drängen sich ihm auf. Egal, wo wir sind, egal, mit wem wir sprechen – überall begegnen uns Geschichten. Meine, deine, Ihre, unsere. Manche ganz kurz, andere eher ausgedehnt. Selbsterlebtes. Miterlebtes. Gehörtes und Gesehenes. Gefundenes und Erfundenes. Empfundenes und Gedachtes. Einige hanebüchen, viele atemberaubend. Sie schillern in allen Farben und Formen und die meisten davon brennen nur darauf, endlich erzählt zu werden, aufgeschrieben zu werden. Eines haben sie alle gemeinsam: Sie sind einzigartig. Jede Geschichte hat ihr eigenes Leben. Und wie jedes Leben seinen unschätzbaren Wert hat, so hat auch jede Geschichte ihren Wert. Ihr Verlust wäre ein Jammer. Sobald sie aufgeschrieben sind, werden sie für andere sichtbar und nacherlebbar.

Betrachte, erfahre, erlebe dein Leben mit allen Sinnen. Tauche ein in die Rhythmen der inneren und äußeren Natur. Horche nach innen. Nimm die Empfindungen, Bilder und Gefühle, die aus deinem Inneren kommen einfach nur wahr – ohne sie zu bewerten. Begegne dem wahren wirklichen Leben, den Bedrohungen, den geheimen Sehnsüchten, dem Rätselhaftem im vermeintlich Unscheinbaren. Nähere dich an den geheimen, unerschließbaren Wesenskern der Menschen an und in jenen rätselhaft-dunklen Bereich, wo Selbstbetrug, Lebenslügen und gefährliche Illusionen in den tiefen Schichten menschlichen Erlebens warten. Einfach unter die Oberfläche dringen. Aber Vorsicht: Wer unter die Oberfläche geht, ob Schreiber oder Leser, tut das auf eigene Gefahr.

Nur wenn du siehst, kannst du verstehen. Und nur was du verstehst, intuitiv verstehst, darüber kannst du gut schreiben. Also lasse dich auf neue Wahrnehmungsprozesse ein und entwickle eine achtsame Sinnestätigkeit. Nur Wahrnehmen schafft Realität. Denn dein Schreiben orientiert sich nicht daran, wie die Welt ist, sondern daran, wie du sie wahrnimmst. Und vor allem, löse dich ganz von einengenden Vorstellungen, von Klischees und Denkmustern. Schreiben heißt nicht Kopieren von Stilen, nicht Abklatsch von Vorstellungen, von Begriffen, von Ideen; es ist nicht Nachahmen, sondern bedeutet: Neue geheimnisvolle Wege finden und gehen. Freiheit statt Gefälligkeit. Risiko statt Konformität. Intuition statt Analyse. Wechsle oft und immer wieder die Perspektive

Du wirst erstaunt sein, welches Detail du bemerkst oder welche Idee dich nicht loslässt, wenn du die Welt um dich herum betrachtest und dir die außergewöhnliche Vielfalt alltäglicher Dinge auffallen, die Themen für deine Geschichte ergeben.

Fühlen, Denken und Sprache sind deine Werkzeuge. Hier führt der beste Weg über die Intuition, ein unmittelbares arationales Verstehen, Erkennen oder Einsehen, das unmittelbar und ohne rationale Schlussfolgerung, einfach durch Anschauung zustande kommt.

Laster und Tugenden, dieses tanzende Paar, das sich umeinander dreht, sich abstößt, sich eng umschlingt und ohne einander nicht sein kann, das sind deine Materialien. All die glücklichen, lustigen, tragischen oder traurigen Situationen. Konflikte mit Nahestehenden. Üble Gefühle, unerfüllte Wünsche, eigene Schwächen, verworrene psychische Zustände, Krankheiten, finstere Aspekte der eigenen Vergangenheit: Vater, Mutter, das Geschlechterverhältnis. Allerlei Süchte und Unfähigkeiten. All die vielen Male, wo dich der Teufel reitet.

Führe einen Dialog mit deinem Inneren. Lass dich führen zu deinen Ängsten, Zweifeln, Ungewissheiten und sprich dich mit ihnen aus. Und steige aus den Schubladen aus, in denen du steckst und in die du gesteckt wirst. Jegliches Beurteilen, jedes Sortieren in „angesagt“ oder „unmöglich!“ verstellt die Sicht, verzerrt und verfälscht die Wahrnehmung. Lasse einfach die äußeren und vor allem deine inneren Bilder sprechen

Jeder kann gute Geschichten schreiben. Und jeder lebt in seinen Geschichten weiter. So wird Geschichte aus unseren Geschichten. Nur Mut. Das Leben steckt nun einmal voller Geschichten. Alles, was du brauchst, liegt in dir.

Warum die Amsel singt …

Warum die Amsel singt …

oder warum wir Kunst nicht zu verstehen brauchen

„Jeder möchte die Kunst verstehen. Warum versucht man nicht, die Lieder eines Vogels zu verstehen? Warum liebt man die Nacht, die Blumen, alles um uns herum, ohne es durchaus verstehen zu wollen? Aber wenn es um ein Bild geht, denken die Leute, sie müssen es ‚verstehen‘.“ (Pablo Picasso)

Kunst muss man nicht verstehen. Kunst muss man nicht mögen. Genauso wenig wie man Wissen, Erkennen, Erkenntnisse und Einsichten unserer Mitmenschen verstehen, mögen und teil muss. Kunst ist der Gegensatz zur Natur, künstlich ist alles, was nicht natürlich ist.

Kunst kann man nicht erklären, man muss sie erleben, da sie tief im Innersten eines jeden Menschen verborgen ist.

Kunst ist, den Verstand auszuschalten, dass innere Auge mit Gefühlen und Gedanken koppeln, dann dem entstehenden sichtbaren Ausdruck verleihen, ohne das Ergebnis erklären zu müssen!

Kunst heißt hinsehen, Kitsch und heile Welt heißt wegsehen. Fernsehen ist Wegsehen. Warum Fernsehen, wo doch soviel interessantes und aufregendes außerhalb der vier Wände passiert. Und das ist der entscheidende Unterschied. Dinge aus einer anderen Perspektive sehen, den Blick für die Widersprüche des Lebens schärfen. Er misstraut dem ersten Eindruck misstrauen und den Sinn hinter den Dingen suchen.

Der eine schwärmt vom grandiosen Ausblick auf das Meer, der andere sieht den Schmutz am Strand. Es ist immer wieder erstaunlich, wie gegensätzlich Personen vom gleichen Ereignis oder über die gleiche Situation berichten und doch jeder von der Richtigkeit seiner Version überzeugt ist.

Kunst ist der Gegenentwurf zur Realität. Realität geht immer wieder den Weg des geringsten Widerstandes, um nicht die Hosen runter lassen zu müssen. Und da nichts so ist, wie es scheint, müssen wir dahinter schauen auch wenn die Angst, dass alles zerbricht, unermesslich wird

Kunst ist Ausdrucksmittel für die eigenen Gefühle und die eigene Sichtweise

Etwas spricht ein oder mehrere meiner Sinne an und bewegt es im Herz, Kunst ist die Möglichkeit, Emotionen für andere lesbar zu machen. Kunst ist Inspiration, eine Einladung jenseits der gewohnten Pfade zu kommunizieren und unendlich vieles mehr.

Maler nehmen den Pinsel in die Hand und lassen ihre Bilder aus sich heraus. Beim Malen lagern sich die Farben Schicht um Schicht übereinander. Dabei wird kein vorgefasster Plan realisiert – es vollzieht sich vielmehr ein allmählicher Wachstumsprozess mit spontanen bildnerischen Entscheidungen bei jedem Schritt.

Wie der Maler mit Farben experimentiert, so der Musiker mit den Tönen, der Lyriker mit Worten

Kunst bietet uns die Pause, in der Zeit stillsteht. Kunst verlangt Mut zu bekennen, Kraft zum Ausdruck. Sie ist die Grundlage mit der wir uns in der Welt orientieren. Und nur mit Kunst sind wir in der Welt

Niemand schreibt uns vor, ob welche Art Kunst wir machen. Niemand! Wer auf Fördergelder scharf ist, muss mit den Wölfen heulen.

Wer als Künstler ernst genommen werden will, der macht SEINE Kunst – Hauptsache, sie ist authentisch und er kann sich zu 100% hinter sein Werk stellen. Er kümmert sich keinen Deut um Moden oder Trends. Er macht sein Ding und achtet nicht darauf, was andere sagen, wenn er nicht zum massen-kompatiblen Gefälligkeits-Künstler werden möchte.

»Kunst ist schön, macht aber auch viel Arbeit«, wusste schon Karl Valentin. Natürlich gehört ein Stück Handwerk zum künstlerischen Ausdruck. Aber es ist nicht der wichtigste Teil. Wer das Handwerk des Zeichnens, Malens, Komponierens, Musizierens und Schreibens beherrscht, dem fällt manches leichter. Aber aus dem Handwerk alleine entsteht keine Kunst. Kunst entsteht nur aus der Kreativität. Und Kreativ sein heißt, auf der Suche sein.

Jeder Mensch ist immer auf seiner persönlichen Suche, auf der Suche nach Erklärungen, auf der Suche nach Freiräumen. Freiräume zu Improvisation und zum Experiment. Zum Finden der richtigen Balance von Struktur und Chaos. Mancher findet nie das, was er sucht, gibt auf, resigniert und lebt stumpfsinnig seine Tage, einfach weil er sich nicht traut, sich mit den unterschiedlichsten Materialien auszudrücken

Das Kunstleben ist ein bunter, vielseitiger Bilderbogen – frei im Klang, in der Farbe, in der Form im Wort. Und es gibt kaum einen direkteren Weg, sich selbst umfassend kennen zu lernen, die eigene Persönlichkeit zu entdecken und auszudrücken als kreatives Gestalten.

Trotz allem: Ich weiß nicht, warum wir Kunst machen. Vielleicht für uns selber, vielleicht für die Betrachter, Hörer und Leser … nein. Vielleicht für die wenigen, die uns für stärker halten, obwohl wir schwach sind.

Auf jeden Fall hat jeder Künstler „ein Reich für sich.“