Die Totalitären haben die längeren Schießeisen
… und welche Alternativen haben wir?
Glück, Gesundheit, Wohlstand, Arbeitsplätze, gute Rente, kostenlose Bildung, Sicherheit, Freiheit, gutes Leben … unsere Erwartungen an den Staat sind hoch, oft voller Widersprüche und unrealistisch. Trotzdem werden sie von vielen Politikern versprochen und in ihre Programme eingebunden. Und zu diesen Programmen gebe es keine Alternativen.
Machthaber im Allgemeinen werden sich hüten, genau zu definieren, was alles als alternativ angesehen werden könnte. Denn das würde ja bedeuten, dass sie Ratschläge zu ihrer eigenen Abwahl und damit Ablösung erteilen würden. Also wird man von offizieller Seite niemals hingehen und sogenannte Alternativen zu benennen.
Um diese Alternativlosigkeit zu begründen, brauchen die Herrschenden ein zentrales Feindbild, dessen drohende Schatten sie überall heraufziehen sehen. Bis Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts waren das die Linken, die Roten. „Lieber tot als rot.“ Und wer erinnert sich nicht an die Rote-Socken-Kampagne der CDU im Bundestagswahlkampf 1994. Ein letzter, gescheiterter Versuch des damaligen Generalsekretärs der CDU, Peter Hintze, das alte Feindbild neu aufzulegen.
Um eine solche Strategie wirkungsvoll gestalten zu können, müssen Politiker nicht unbedingt lügen. Obwohl schon Otto von Bismarck gesagt haben soll: „Es wird niemals so viel gelogen wie vor der Wahl, während des Krieges und nach der Jagd.“ Nein, sie erzählen nur nicht die ganze Wahrheit, betonen das, was ihnen nutzen könnte und verschweigen alles andere. Auch Hannah Arendt argumentierte, dass das bloße Sagen der Wahrheit dem Wesen der Politik widerspräche. Das Verkünden der Wahrheit sei despotisch und lasse keine Debatte zu. Kein Wunder, dass die Bevölkerung immer politikerverdrossen wird und immer weniger das glaubt, was ihnen von offizieller Seite vorgegeben wird.
Nach langen Jahren einer scheinbaren Ruhe an der Feindbildfront ist jetzt endgültig ein neuer Feind ausgemacht: die Populisten. Und auch diese arbeiten mit Feinbildern, die sie von Einzelgegnern wie die Juden, die Muslime, die Flüchtlinge, die Monopolkapitalisten immer breiter ziehen und alle, die nicht ihrer Meinung sind zum Feind des Volkes erklären, die Andersdenkenden, die Intellektuellen und natürlich die Elite. Wobei für viele schon jemand, der einen grammatikalisch und stilistisch richtigen Satz in der deutschen Sprache formuliert, zu den elitären intellektuellen zählt.
Populisten ist für mich ein nichtssagendes Wort, das inflationär gebraucht wird. Denn hinter dieser Maske der Verharmloser und Vereinfacher, dank derer wir nicht mehr differenziert nachzudenken brauchen steht ein totalitärer Herrschaftsanspruch.
Da kommen doch Leute an die Macht und das noch durch allgemeine Wahlen legitimiert, die wesentliche Elemente wie Meinungsfreiheit oder Menschenrechte aufgeben: Kaczyński in Polen, Orbàn in Ungarn, Erdogan in der Türkei, Putin in Russland, Shinzo Abe in Japan und Donald Trump in Amerika. Von Wilders und Marine Le Pen wollen wir gar nicht reden. Sie wollen eigentlich keine Revolution im Sinne eines tiefgreifenden gesellschaftlichen Strukturwandels, sondern sie nutzen Stimmungen in der Bevölkerung und teilen immer in „Wir“ und „Die da“, um darauf ihre ganz persönlichen Ideen zum eigenen Macht- und Besitzerhalt durchzusetzen. Mancher von ihnen glaubt sogar selbst daran, Politik zu machen, ohne dass es um etwas Größeres ginge, als um die eigenen narzisstischen Interessen. Und die Spitze des Widersinns ist erreicht, wenn jemand, der zum Establishment gehört, also „oben“ ist, seine Parolen aufbaut auf dem Feindbild „Ihr da oben – wir da unten“.
Ihr aller Vorläufer war Silvio Berlusconi, ein wahres Phänomen. Er wurde ebenfalls von einer tief sitzenden Zustimmung breiter Kreise getragen. Und dieses Phänomen lässt sich einfach verstehen:
Diese Typen präsentieren sich ständig als strahlende Sieger.
Sie zeichnen sich aus durch die Anhäufung von Vermögen – mehr oder weniger legal erworben, durch Bestechlichkeit, durch Willkür gegenüber den Gesetzen, durch Verachtung der anderen. Und diese destruktive Charakterstruktur entspricht tatsächlich auch der tiefen Sehnsucht breiter Kreise: „Eigentlich möchten wir selber Berlusconi sein“, sagt Roberto Saviano, Autor des Buches „Gomorrha“. Er macht darauf aufmerksam, wie verdorben die Charakterstrukturen nicht nur der Herrschenden, sondern auch der Beherrschten sind. Berlusconi und Co. können sagen: „Meine Wähler wollen mich so.“ (Seite 374)Die sogenannte Elite in Politik und Ökonomie vertritt die Interessen „ihres Volkes“. Der Mensch kümmert sich nicht mehr um sein Leben und sein Glück, sondern um seine Verkäuflichkeit.
Wie aber funktioniert das? Die Massenmedien der Herrschenden haben „im Volk“ genau das Bewusstsein geschaffen, das die eigene Karriere sichert. Das gilt nicht nur für das System Berlusconi und seine Nachfolger, sondern – auf weniger fundamentalistische, aber dennoch auf wirksame Weise – für alle Formen gesellschaftlicher Besitzstandswahrung.
Mit allen dieser Richtungen wird das Grundproblem nicht gelöst: Die Abhängigkeit und Unfreiheit der meisten Menschen. Im Gegenteil: Der Totalitarismus, eine diktatorische Form von Herrschaft wirkt in alle sozialen Verhältnisse ein. Wir brauchen nur einen Blick in die jüngere Vergangenheit zu werfen und wir sehen das nationalsozialistische Deutschland, den Stalinismus, die DDR, das Nordkorea als Prototypen totalitärer Regime, die in ihrer alles durchdringenden Ideologie nicht auf ein kritisches Bewusstsein setzen, sondern auf Überzeugungen.
In diesen Systemen gibt es keine Gewaltenteilung. Legislative, Exekutive und Judikative sind nicht unabhängig und getrennt voneinander, sondern liegen in der Hand des Diktators oder der herrschenden Partei.
Die bürgerlichen Freiheiten fallen nach und nach und die Menschenrechte werden missachtet. Keine Meinungsfreiheit, keine Medienfreiheit, de facto keine Religions- und Gewissensfreiheit, keine Freiheit der Kunst und Lehre. Das Pressewesen wird weitestgehend durch den Diktator bzw. die herrschende Partei beeinflusst. Die Meinungsfreiheit wird durch die Zensur unterdrückt oder ist gar nicht mehr vorhanden.
Oder wie Hannah Arendt in ihrem Buch Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft sagte: „Das wesentliche der totalitären Herrschaft liegt also nicht darin, dass sie bestimmte Freiheiten beschneidet oder beseitigt, noch darin, dass sie die Liebe zur Freiheit aus den menschlichen Herzen ausrottet; sondern einzig darin, dass sie die Menschen, so wie sie sind, mit solcher Gewalt in das eiserne Band des Terrors schließt, dass der Raum des Handelns, und dies allein ist die Wirklichkeit der Freiheit, verschwindet“ (Seite 958)
Dagegen müssen sich die Verfechter einer liberalen Demokratie vehement erheben. Gut, die Demokratie verspricht kein gutes Leben. Sicherheit und Freiheit lassen sich in der Demokratie nicht gegeneinander abwägen. Konsens ist kein demokratisches Ideal. Moralismus und politische Empfindsamkeit ersetzen in der Demokratie weder Argumente noch politische Konflikte.
Aber Demokratie ist der einzige rechtlich-politische Raum, in dem Menschen ihr Leben und die alle gemeinsam betreffenden Fragen aktiv und in Freiheit miteinander gestalten. Nur in einer Demokratie können wir miteinander klarkommen, auch wenn es unvereinbare Positionen gibt. Gerade wir in Gesamtdeutschland haben doch in den letzten hundert Jahren schon alle Formen erlebt. Könnte es vielleicht sein, dass die so gescholtene Parteiendemokratie einfach das kleinste Übel ist?
Wir brauchen Demokratie, weil verhindert werden muss, dass ein Egoist die anderen unterdrückt; viele gemeinsam schlauer sind als einer alleine; Entscheidungen besser akzeptiert werden, wenn alle beteiligt sind. Gegen Demokratieverdruss hilft nur mehr Demokratie. Und die Demokratie funktioniert umso besser, je mehr wir uns verantwortlich fühlen, je mehr wir uns einmischen.
Die Möglichkeiten, sich einzumischen, sind zahlreich. Vom Stadtteil bis zum Parlament, von der Schule bis zum Arbeitsplatz. Sich vor allem einmischen in die eigenen Angelegenheiten. Doch wer hat den Mut gegen den Strom zu schwimmen? Ist es nicht einfacher in der Masse der Schweigenden, Mitläufer oder Desinteressierten unterzutauchen? Kurzfristig ja! Aber langfristig ist es für jeden Einzelnen wesentlich befriedigender, dort einzugreifen, wo Not am Mann oder an der Frau ist, sich so verhalten, wie wir tatsächlich empfinden. Plappern Sie nicht nach. Zeigen Sie, wie Sie selbst denken, fühlen und handeln. Das ist die Macht, die wir brauchen.
Und entwickeln Sie ein gesundes Misstrauen. „Glauben Sie niemand, der von sich behauptet, er komme immer zum Orgasmus.“ (Brigitte Zypries)
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