Rezension: Das Herz kommt zuletzt – Margaret Atwood – Berlin Verlag

Man kann einchecken, aber man kann nicht mehr raus.

Das Herz kommt zuletzt – Margaret Atwood (Autorin), Monika Baark (Übersetzerin), 400 Seiten, Berlin Verlag (3. April 2017), 22 €, ISBN-13: 978-3827013354

Das Leben von Charmaine und Stan verlief recht angenehm oder besser gesagt, normal. Beide hatten eine recht zufriedenstellende Arbeit. Jetzt leben sie in ihrem Auto, irgendwo im rust belt Amerikas, verarmt und verzweifelt. Genauso wie die Bande von Vergewaltigern und Dieben, die draußen um ihr Auto marodierend herumziehen. Sie haben eine Reihe von Arbeitsplätzen verloren, und sie sehen keine lebensfähige Zukunft. Aber Sie haben einander. Sie scheinen ein wenig naiv in der Art, wie sie ihre Liebe als Bollwerk gegen die Welt beibehalten. Und genau diese Naivität macht sie anfällig für ein verlockendes Angebot: ein Monat im Gefängnis, und einen Monat draußen, wo es Vollbeschäftigung gibt und sie ohne Kosten leben können.

Diese doppelte Gemeinschaft von Positron, dem Gefängnis und Consilience, dem normalen Lebensraum, ist ein sozioökonomisches Experiment, das auf einem privat finanzierten postmodernen Gefängnis beruht, aber eigentlich eine Strafkolonie ist.

Der Roman zeigt sich zunächst als eine alarmierende Geschichte aus der nahen Zukunft an, ein vertrautes Szenario bei Margaret Atwood: Die Welt zerfällt in Stücke, und eine finstere Institution mit eigener Kältelogik steigt ein, um das Vakuum zu füllen.

Das Ganze ist eine Metapher, eine Allegorie: Sie zeigt eine bürgerliche Existenz, die nur durch wirtschaftliche Unterdrückung aufrechterhalten werden kann. Statt eines wohlhabenden Lebensstils, der durch Sklavenlöhne in fernen Ländern möglich gemacht wird, ist das Neue am Positron-Projektes, dass jetzt die Ausgebeuteten und diejenigen, die von der Ausbeutung profitieren, dieselben Menschen sind.

Und es geht um den Kampf zwischen der Monogamie und der Wirklichkeit des menschlichen Verlangens, der Verflechtung von Sex und Dominanz, der Liebe und des freien Willens. Was bedeutet es wirklich, jemanden zu lieben? Wie viel freier Wille haben wir wirklich in Sachen des Herzens? Was würden wir für Sicherheit tun? Das sind wiederkehrende Themen von Margaret Atwood, Kanadas berühmteste Schriftstellerin. Hier hat sie diesen Stoff in eine strenge Satire auf räuberischen Großunternehmen gepackt und mit einer Sex-Komödie gekreuzt.

Margaret Atwood zeichnet Stan und Charmaine eindrucksvoll und einfühlsam, ohne deren egoistischen Wünsche, heuchlerischen Rechtfertigungen und Schwächen im Angesicht von Versuchung oder Zwang zu unterschlagen. Beide sind ausgesprochen normal und doch oft abscheulich.

Die Autorin schreibt in einer lyrischen, leichten und virtuosen Sprache. Irgendwie unaufdringlich und trotzdem vom Inhalt sehr eindringlich.

Eine packende, psychologisch exakte Darstellung unserer eigenen Zukunft, die den Leser sehr nachdenklich zurücklässt.

Hier geht es direkt zum Buch auf der Seite des Berlin Verlages

https://www.piper.de/buecher/das-herz-kommt-zuletzt-isbn-978-3-8270-1335-4

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